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"Hier gibt's auf die Kauleiste"

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scholavo Der Benutzer wurde geprüft und ist eine reale Person. Unterstützt das Forum mit einer jährlichen Spende. Ist ein Ehrenmitglied. Neu  16.08.2011 Dienstag, 16. August 2011 20:50
Avatar von scholavo scholavo Der Benutzer wurde geprüft und ist eine reale Person. Unterstützt das Forum mit einer jährlichen Spende. Ist ein Ehrenmitglied.


Deutschland . RP
Gerade auf Spiegel.de gefunden und als lesenswert erachtet. Es gibt auch ein 4-minütiges Video.

Hendrik Ternieden, Spiegel.de
Jessy Heinen klappert in vierter Generation mit seiner Kirmesboxbude die Jahrmärkte Deutschlands ab. Wer will, kann gegen seine Männer in den Ring steigen und Backenfutter bekommen. Halbstarke Herausforderer gibt es genug, das Geschäft brummt. Ein Abend auf der Kirmes.

Jessy Heinen sagt, die gefährlichen Typen erkenne er schon am Gang. Die Typen, die seinen Leuten aufs Maul hauen könnten, wie er es nennt. Die Typen, die ihm seine Kohle abluchsen wollen. Phil gehört nicht zu dieser Sorte. Der 20-Jährige ist "nur zum Spaß" hier, er fällt eher in Heinens Kategorie "Opfer". Gleich muss er gegen Ivan in den Ring steigen, ein Muskelpaket mit kurzen Haaren und grimmigem Blick. "Hau den Typ K.o., zahl ich cash 270 Euro", verspricht Heinen.
Er klappert mit seiner Boxbude die großen Volksfeste Deutschlands ab, nun steht sie auf dem Stoppelmarkt in Vechta. Rund 800.000 Besucher werden an sechs Tagen erwartet. Sein Urgroßvater hat das Geschäft eröffnet, Heinen führt den Familienbetrieb in vierter Generation. Seine Mutter, 56 Jahre alt, verkauft am Ring Getränke, seine 77-jährige Oma sitzt an der Kasse.
Fünf Euro kostet der Eintritt, dafür bekommen die Zuschauer vier Kämpfe zu sehen, zwei Runden à eine Minute. Wer in den Ring steigt, zahlt nichts, für einen K.o.-Sieg gibt es bis zu 500 Euro Preisgeld.
Auf der Bühne vor der Bude heizt Heinen die Kirmesbesucher an. Ein sportlicher 36-Jähriger, Trainingshose und T-Shirt, die Haare gegelt, er könnte auch Versicherungen verkaufen. Hinter ihm stehen seine Männer: Boxer mit kantigen Gesichtern, breiten Schultern, durchtrainiert. Sie schlagen auf Sandsäcke und Punching-Bälle, sie bewegen sich wie nur echte Boxer es können: ruckartig und doch geschmeidig. "Hier gibt's was auf die Kauleiste", ruft Heinen ins Mikrofon. Die Leute bleiben stehen. Er pickt sich einen Mann heraus: "Willst du ein paar auf's Maul?"

Die Halskette hat er abgelegt

In einem Zelt hinter der Bühne steht der Ring: fünf mal fünf Meter groß. Phil hat sein Hemd ausgezogen, die Halskette abgelegt. Er trägt jetzt nur noch sein schwarzes Unterhemd. Er war schon am Vorabend hier, aber zu betrunken, um mitzumachen. "Ich werde gleich ordentlich kassieren, aber das ist egal", sagt Phil. Während er die Oberschenkel dehnt, lockt Heinen draußen Besucher an.
Die ersten Kämpfe wurden schon ausgetragen an diesem Abend. David, 18, ist mit einer blutenden Lippe davongekommen, er wollte Revanche, stieg noch einmal in den Ring. Nach vielleicht 30 Sekunden ging er zu Boden. Er sah den Schlag nicht einmal kommen, eine schnelle Linke, fast ansatzlos, David war sofort weg. Nur mit einem Lucky Punch, einem Glückstreffer, kann man einen Boxer schlagen, Prügelerfahrung allein reicht nicht. Deshalb funktioniert Heinens Boxbude: Er muss fast nie zahlen.
"Wir schlagen hier niemanden brutal zusammen", sagt er auf der Bühne. "Wenn jemand ohne Erfahrung im Ring steht, ziehen wir die Handbremse an." Heinen ist gut in dem, was er tut. Wenn er spricht und die Boxer tänzeln, bleiben mehr Besucher stehen als bei den anderen Geschäften um ihn herum. Heinen ist ein Dampfplauderer, er spielt mit dem Publikum. Zu einem Kämpfer, der seinen Junggesellenabschied feiert, sagt er: "Hinterher will dich deine Freundin aber nicht mehr heiraten."

"Eine Platzwunde, da kannst du den Daumen reinstecken"

Es läuft gut an diesem Abend. Für Heinen bedeutet das: keine Pause. Kampfrunde reiht sich an Kampfrunde. Über Stunden muss er die Leute locken, unterhalten, provozieren. Irgendwann wiederholen sich die Sprüche: Kopfstöße seien verboten, "das gibt eine so große Platzwunde, da kannst du den Daumen reinstecken". Heinen trinkt Red Bull und Kaffee, um durchzuhalten.
In einer Zeit, in der viele Schausteller ums Überleben kämpfen, hat er es geschafft, die Boxbude erfolgreich weiterzuführen - eine Attraktion, deren Grundidee so archaisch ist wie keine andere auf dem Jahrmarkt. Mann gegen Mann, der Stärkere gewinnt.
Mit 17 kämpfte Heinen selbst in der Boxbude, sieben Jahre später hat er den Betrieb übernommen, da war er gerade 24. Schüchtern sei er anfangs gewesen, erinnert er sich, er habe sich kaum getraut, ins Mikro zu sprechen. Heute ist davon nichts mehr zu spüren. "Wo wir sind, ist immer am meisten los", ruft er, "wir sind bekannt aus Funk und Fernsehen." Heinen haut gern auf die Kacke. Posen und Bluffen gehört zum Geschäft.

2. Teil: Phil blutet, die Boxbude brummt

Wie seine Boxer im Ring will Heinen immer die Kontrolle behalten. Er kann sehr überzeugend sein, wenn er etwas fordert, seine Stimme wird dann hart, ganz ohne den ironischen Unterton, den er auf der Bühne zeigt. Doch er kann auch anders: Als kaum jemand hinsieht, streckt er einem kleinen Mädchen die Zunge heraus und grinst schelmisch. Heinen hat drei Kinder, zwei Jungen, sie sollen eines Tages seinen Job übernehmen.
Vielleicht kommt man Jessy Heinen am nächsten, wenn man ihn als Geschäftsmann beschreibt, der seinen Familienbetrieb mit großem Einsatz am Leben hält. Er sagt, die Bude sei 1956 gegründet worden. Seine Mutter sagt, es war 1946. Und am Zeltdach über dem Ring ist zu lesen, es sei 1944 gewesen. In mehreren Berichten der vergangenen Jahre galt seine Boxbude als letzte Deutschlands, dabei gibt es noch mindestens eine weitere. Legenden gehören zum Geschäft.
Mit sechs Boxern tritt Heinen in Vechta an. "John aus Liverpool" ist einer von ihnen. Einen anderen hat Heinen angeblich erst am Vortag aus dem Publikum verpflichtet, weil dieser tatsächlich einen Kampf gewonnen hatte. Junge Boxer, denen er Kost und Logis bietet und die einmalige Erfahrung, Gegner zu kriegen, die man nur auf der Kirmes vor die Fäuste bekommt und sonst nirgendwo. Einer seiner Männer ist laut Heinen dreifacher polnischer Meister im K1 - einer Kampfsportart, die mehrere Disziplinen vereint. Ein anderer soll mehr als 250 Amateurkämpfe bestritten haben. Die Boxbude ist auch eine große Show, und man weiß nicht immer, was man glauben kann und was nicht. Aber spielt das eine Rolle? Die Leute wollen unterhalten werden.

Der Ringrichter zählt ihn kurz an, dann geht es weiter

Im Zelt ist es warm und stickig, Schweiß und Atem der Kämpfer liegen in der Luft. Dutzende Zuschauer drängen sich um den Ring. Phil schlägt sich tapfer, greift an, zwingt seinen Gegner sogar kurz in den Rückwärtsgang. Dann trifft ihn eine Rechte voll ins Gesicht, er fällt zu Boden, das Publikum grölt. Phil springt sofort wieder auf, der Ringrichter zählt ihn kurz an, dann geht es weiter. Die Ringseile knarzen. Die erste Runde übersteht Phil noch, in der zweiten werden seine Bewegungen unkontrollierter, er kassiert harte Treffer, der Kampf wird abgebrochen.
"Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, auf die Fresse zu bekommen", sagt Phil. Alles habe vibriert, der andere habe "übelst draufgehauen", sagt er. "Das war Adrenalin pur." In seiner Hand hält er ein Taschentuch, mit dem er sich die blutige Nase abtupft. Phil hat seinen Mann gestanden, jetzt will er feiern gehen.
Heinen sagt, der Job mache ihm am meisten Spaß, wenn Menschen mit einer großen Klappe ihre Grenzen aufgezeigt bekommen. Am wenigsten Spaß mache es ihm, wenn er zahlen muss. Wie viele Zuschauer er an einem solchen Abend hat, wie viel er einnimmt, will Heinen nicht verraten. "Wir sind immer voll", sagt er. Das muss reichen.
Es ist jetzt schon nach 23 Uhr, der Zulauf vor der Boxbude wird immer größer. Die Kirmesbesucher sind ausgelassener, hemmungsloser, sie wollen Action. "Gegner ohne Ende, Opfer ohne Ende", ruft Heinen ins Mikrofon.


Quelle: Hendrik Ternieden, Spiegel.de
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coasterfreak Der Benutzer wurde geprüft und ist eine reale Person. Unterstützt das Forum mit einer jährlichen Spende. Ist ein Ehrenmitglied. Neu  16.08.2011 Dienstag, 16. August 2011 23:33
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Robert

Deutschland . NW
Danke für den Bericht. Ich denke, mit den onriden sollte man so eine Bude auch mal füllen...und dann den Halbstarken beim KO gehen zuschauen...erinnert mich alles irgendwie an Noob VS. Herre...S Die haben auch keinen Chance... 0 gefällt das
X-Force_Flash Der Benutzer wurde geprüft und ist eine reale Person. Unterstützt das Forum mit einer jährlichen Spende. Ist ein Ehrenmitglied. Neu  17.08.2011 Mittwoch, 17. August 2011 12:30
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Thomas

Deutschland . BW
Goil, wenn da mal Klitschko oder so kommt S Guter Bericht! 0 gefällt das

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